Wer hat es nicht schon alles erlebt? Ein neues Projekt steht an. Man entscheidet sich, Scrum dafür einzusetzen. Ist ja gerade modern und die Firma nebenan macht das auch.
Also schnell jemanden aus dem Team zum Product Owner ernennen. Scrum Master ist ja nur so ein Wohlfühlding. Holen wir später dazu, wenn überhaupt.
Scrum Workflow wird angepasst
Scrum wird also eingesetzt. Aber da Scrum so viele Meetings beinhaltet, wird daran gleich optimiert. Man nennt es, wir picken uns die Rosinen aus dem Framework. Das ist viel zu kompliziert gedacht. Also optimieren wir es, damit wir damit noch erfolgreicher arbeiten können.
1. Maßnahme:
Im Sprint Planning stellt die Abteilungsleitung die Aufgaben vor, die es umzusetzen gilt.
2. Maßnahme:
Anstatt Personentage heißen die Schätzungen jetzt Story Points. Wir sind ja agil. Also gilt: 1 Story Point = 1 Arbeitstag.
3. Maßnahme:
Mit dem Daily Scrum gibt es ab sofort ein tägliches Statusmeeting. Endlich bekommt die Abteilungsleitung die volle Transparenz darüber, wer im Team wirklich arbeitet.
4. Maßnahme:
Im Sprint Review müssen sich die Developer dafür verantworten, warum die Sachen noch nicht fertig sind.
Retrospektiven kommen später, wenn es auch einen Scrum Master gibt. Das Backlog ist weiterhin eine Excel-Liste. Gepflegt von der Abteilungsleitung.
Wie hätte es besser laufen können?
Auch agile Projekte benötigen eine Vorplanung. Sie entstehen nicht einfach so. Und vor allem kann vor der Klärung des Ziels noch nicht mit Sicherheit gesagt werden, dass Scrum das richtige Vorgehensmodell ist.
Scrum steht hier nur als Beispiel, da es derzeit in sehr vielen Projekten eingesetzt wird. Und genau hier lässt sich ein schöner Vergleich zwischen Scrum und einer Robbe ziehen.
Was hat das mit einer Robbe zu tun?
Scrum dient in dem Beitrag hier nur als ein Beispiel. Das Unternehmen hätte auch direkt Wasserfall, das V-Modell oder Extreme Programming einsetzen können, ohne sich mit der Materie vertraut zu machen. Auch das wäre zum Scheitern verurteilt gewesen.
Neues Tier für den Wildpark
Stell dir vor, der Wildpark in Gonsenheim würde sich überlegen, ein neues Tier aufzunehmen. Wie würde der Förderverein jetzt vorgehen bei der Wahl des richtigen Tiers? Am obigen Beispiel ausgerichtet in etwa so:
Die Seehundstation Friedrichskoog zieht viele Besucher:innen an und verlangt sogar Eintrittspreise. Seehunde sind bekanntlich auch Tiere und damit vergleichbar mit den Dammhirschen des Tierparks in Gonsenheim.
Wenn Robben in Norddeutschland funktionieren, dann auch in Mainz! Also wird als nächstes Tier eine Robbe angeschafft und zu den Dammhirschen ins Gehege gesteckt. Extra Futter wird nicht angeschafft. Sind ja beides Tiere, also werden sie wohl das gleiche Futter fressen können.
Welche Konsequenzen wird eine Robbe im Gehege haben?
Klingt die Schlussfolgerung einleuchtend? Nein? Welche Konsequenzen wird das jetzt haben?
Ich habe keine Ahnung, was die Robbe mit dem Dammhirsch anstellen würde. Wäre sie schnell genug, um es sich zu schnappen (immerhin gibt es ja keinen Fisch zum Fressen)?
Und wie geht so eine Robbe damit um, wenn sie kein Wasser zum Schwimmen zur Verfügung gestellt bekommt?
Man könnte jetzt argumentieren, hier geht es ja um Lebewesen und nicht um Projektmanagement Frameworks. Da würde man ja andere Maßstäbe anlegen. Doch auch in Unternehmen geht es um Lebewesen. Um die Projektmitarbeitenden.
So würde es besser laufen
Bevor also gleich losgeschossen wird, erstmal die Ziele und die Vision klarmachen. Und das geschieht so:
In einer Vorphase des Projekts wird geklärt, was das eigentliche Ziel ist. Und auch welcher Nutzen mit dem Projekt erreicht werden soll. Am Ende dieser Vorphase findet eine Entscheidung darüber statt, ob das Projekt umgesetzt werden soll.
Wenn die Entscheidung positiv ausgefallen ist, findet im nächsten Schritt eine Evaluierung und ein Finetuning des Ziels statt. Stakeholder werden ermittelt und mit eingebunden. Mit Hilfe von Workshops finden erste Überlegungen zur Lösungsfindung statt. Ggf. entstehen sogar bereits Prototypen.
Und erst dann, wenn die Vision greifbar gemacht worden ist, kann entschieden werden, welches Vorgehensmodell passend für das Projekt ist.
Anschließend erfolgt die nächste Phase des Projekts und es geht in die Umsetzung.
Und es steckt noch ein weiterer Diskussionspunkt darin: welches Projektmanagement Framework letztendlich für ein Projekt eingesetzt wird. Das ist aber nicht das einzige Thema. Ein Projekt kann Scrum einsetzen, ohne agil zu arbeiten. Und auf der anderen Seite kann ein Unternehmen agil arbeiten und im Projekt Wasserfall einsetzen.
Diese Schritte sind auch im Projektmanagement Reifegradmodell beschrieben.
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